Es ist noch dunkel draußen. So langsam macht sich die Kälte im Haus breit. Die Nächte werden kälter und am Morgen bedeckt der nasse Tau alles, auch die Wäsche, die in diesen Tagen kaum trocknen will. Die Glühbirne an der Decke hat selbst ihr trübes Licht ausgehaucht und hängt schon seit ein paar Tagen nur noch als unschöne Deko von der abblätternden Decke. Das Licht vom Flur muss genügen. Alma rafft sich auf und steigt aus dem Bett. Die Kälte kriecht in alle Glieder. Sie holt Holz und beginnt gegen die Nässe anzukämpfen und ein Feuer zu entzünden.
Ihre Gedanken gehen zu ihrem ältesten Sohn, der vor einigen Monaten, kurz vor seinem 18.Geburtstag, illegal nach England gereist war. Wie es ihm wohl gerade geht? Ob er friert? Ach nein, in England ist ja alles besser. Da gibt es sicher keine Kälte in Häusern. Verschlafen kommt ihr zweiter Sohn zur Tür herein, gähnt und verlangt von seiner Mutter seine Lieblingshose, die er aber gestern beim Fußball spielen komplett verdreckt hatte. Mit ein paar unschönen Worten beschwert er sich, dass sie noch nicht gewaschen ist.
Mit kalten Fingern beginnt Alma, sich einen Kaffee auf ihrem kleinen Bunsenbrenner zu kochen. Hätte ich nur ein Mädchen, dann würde sie mir jetzt den Kaffee kochen und ich könnte schon mit dem Hausputz beginnen. Obwohl sie dankbar sein kann für ihre drei Jungs und in ihrer Kultur dafür als glücklich angesehen wird, sehnt sie sich nach einem Mädchen. Jungen helfen ja gar nicht, so wenig, wie ihr Vater. Da kommen wieder diese mulmigen Gefühle und ihr Herz zieht sich zusammen bei dem Gedanken an letzte Nacht. Ihr Mann kam völlig betrunken nach Hause. Den ganzen Tag war er weggeblieben und hatte das wenige Geld, das er als Tagelöhner bekommen hatte, sofort wieder ausgegeben. Getrunken und gespielt. Sinnlos. Nichts war übrig geblieben. Die Verzweiflung in ihrem Herzen trieb ihr die Tränen in die Augen. Fast wäre ihr Kaffee übergekocht.
Vor 20 Jahren war Alma noch ein vergnügtes junges Mädchen gewesen, hatte mit ihrer Familie ein einfaches, aber schönes Leben im Dorf gehabt. Trieb jeden Morgen früh die Kühe auf die Weide, träumte tagsüber von ihrem Leben und was es bringen würde. Wie sie einen Mann haben wird, der sie respektiert und die Familie versorgt. Sie selbst, inmitten ihrer wohlerzogenen, hübsch angezogenen, spielenden, fröhlichen Kinder…
Doch warum haben ihre Eltern gerade diesen Mann für sie ausgesucht. Alle seine acht Brüder sind recht ordentliche Männer geworden, nur ihrer ist wie das verlorene Schaf, der verlorene Sohn, der im Dreck liegt und nicht aufstehen kann. Schon einmal war er 10 Jahre im Gefängnis gewesen und sie hatte auf ihn gewartet, die ganze lange Zeit. Da erinnert sie sich wage an die Geschichte, die ihr ihre Freundin erzählt hatte. In dieser Geschichte stand doch der verlorene Sohn auf und ging nach Hause, zum Vater. Und was sagte mir meine Freundin immer wieder: Gib die Hoffnung nicht auf. Jesus hat die Macht auch diesen verlorenen Sohn zurückzuholen und zu verändern.
Leider ist seit vielen Jahren Gebet noch nicht viel passiert. Dennoch erinnert sich Alma nur zu genau, wie durch Gebet im Namen Jesu eine dunkle, staubige, traurige Decke von ihr gehoben wurde und ihr Herz, wann immer sie an Jesus denkt, leicht und freudig wird. Er hat sie befreit von den Tränen, die sich immer wie ein nicht versiegender Bach Bahn machten, wann immer die Verzweiflung zu groß wurde. Jesus ist ihre einzige Hoffnung, das weiß sie. Zuletzt hatten sie eine Kinderbibel gemeinsam gelesen. Die Bilder und der Text hatten sie so berührt. Wie ein Kind hat sie da gestaunt, über Gottes Geschichte mit den Menschen. Sie wollte ja zu Beginn gar nicht glauben, dass sie Sünderin ist. Nein. Sie ist doch nicht so schlimm wie die anderen. Sie trinkt nicht, stiehlt nicht, hat noch nie jemanden umgebracht oder ein schlechtes Wort gesagt. Naja, fast nie. Braucht auch sie wirklich einen Retter? Braucht auch sie wirklich Jesus?
Langsam wird es hell. Noch liegt dichter Nebel über dem Land und vor ihrer Tür. Doch mit Macht dringt die Sonne immer weiter vor. Schon ist sie über dem hohen Berg hinter ihrem Haus emporgestiegen. Stück für Stück hebt sich die dicke Nebelwand. Immer mehr vergehen die scheinbar undurchdringlichen Schwaden und machen den Blick frei. Auf einmal ist da der blaue Himmel, nur ein kleines Stück erst. Und auf einmal ist da die Sonne, die auf ihr Gesicht scheint und die Wärme spürt sie wie durch ihren Körper spazieren. Langsam verblassen die schweren Gedanken und sie machen Raum für diese Hoffnung, die doch da sein muss und stärker ist!
Sie macht weiter. Beginnt mit ihrer Arbeit, verabschiedet die Söhne zur Schule, fängt an zu kochen mit dem wenigen was sie hat, unterhält das Feuer und atmet tief durch und flüstert leise, kaum hörbar: Jesus.