Das erste Weihnachten in Deutschland

Wir leben nun schon seit sechs Jahren in Albanien. In all diesen Jahren sind wir nicht für Weihnachten nach Deutschland gegangen. Letztens wurde mir bewusst, dass unsere Kinder alle eigentlich noch kein Weihnachten in Deutschland erlebt haben.

Gideon war noch sehr klein an seinen zwei Weihnachtsfesten in Deutschland und die anderen drei haben schlichtweg noch keinen Dezember in Deutschland verbracht. Es wird also echt spannend für sie. Was werden sie zu all der schönen Beleuchtung überall sagen? Zu den vielen geschmückten Fenstern und Gärten, der Weihnachtsmusik überall, den großen Weihnachtsmärkten und den schönen Weihnachtsgottesdiensten? Wie werden sie diese gespannte Vorfreude erleben und Heiligabend mit Dannys ganzer Familie unter einem großen und echten Weihnachtsbaum?

Hier in Krume deutet noch nichts auf Weihnachten hin. Irgendwann wird auch hier in kleinem Maße Beleuchtung angebracht. Die Albaner lieben bunte, blinkende Lichter. Und ja, unsere Kinder mittlerweile auch. Nur ihre Mama nicht so, deshalb haben es bunte Lichter noch nicht bis zu uns geschafft, dafür aber blinkende. 🙂

Bisher konnten wir unser eigenes, selbstbestimmtes Weihnachten hier feiern. Und ehrlich gesagt fand und finde ich das sehr gut. Wir bestimmen, welche Tradition wir als Familie haben wollen und welche nicht. Da ist kein Druck von außen. Kein Vergleichen mit anderen. Kein Geschenkestress oder ähnliches. Unsere Kinder sind mit wenig zufrieden und freuen sich daran. Das schätze ich bei meinen Kindern sehr. Aber klar, sie sehen es auch nicht anders. Im Vergleich zu den Kindern hier haben sie ja sehr viel.

Ich bin jedenfalls gespannt. Ich freue mich, ihnen unsere deutschen Traditionen näher zu bringen und sie sie sehen und anfassen können. Wir hoffen sehr, dass es eine sehr gute Erfahrung für unsere Kinder (und uns nach sechs Jahren) wird.

Das Erdbeben in Albanien und was es mit dir und mir zu tun hat...

Heute um ca. 4 Uhr morgens hat Albanien das stärkste Erdbeben seit einigen Jahrzehnten erschüttert.

Das Erdbeben in Albanien

Seit wir in Albanien leben, haben wir immer mal wieder kleinere Erschütterungen gespürt. Auch wenn es nicht viel war, hatte ich doch immer so ein komisches Gefühl in mir. Da passiert etwas und du hast absolut keine Kontrolle darüber. Einfach alles um dich wackelt und zittert. Man schaut sich um und wartet, dass es vorbei geht. Alles, was sonst doch so fest und sicher steht, ist auf einmal gar nicht mehr so sicher und fest.

Heute Nacht lagen wir in unserem Bett. Henry schlief sehr unruhig und wir waren öfter wach wegen ihm. Dann plötzlich wackelte die Erde. Wir spürten es so deutlich wie noch nie zuvor. Eine ganz Weile ging es so. Es schepperte etwas, ein Bilderrahmen fiel von der Wand, die Bücher auf unserem Regal bewegten sich und eines fiel mit einem Knall zu Boden und riss die Lampe mit. Ein kurzer Impuls in mir sagte: wir müssen raus. Und als ich es Danny gesagt hatte, da war es wieder ruhig. Das wackeln war zu Ende.

Als ich um sechs Uhr dann zu unseren Nachbarn von unten ging, hatten sie schon die Nachrichten an und erzählten von den Zerstörungen in Durres und anderen Städten.
Ich bin froh, dass bei uns nichts passiert ist und gleichzeitig tut es mir sehr leid für die Menschen, die viel verloren haben.

Die Schule fiel heute landesweit aus. Wohl aus Angst vor Nachbeben. Unsere Kinder haben sich natürlich darüber gefreut.

Was das Beben in mir ausgelöst hat

Mir geht es schon noch nach, dieses komische Gefühl, plötzlich keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben zu können. Hilflos einer großen und mächtigen Naturgewalt ausgeliefert zu sein. Von jetzt auf gleich, urplötzlich, kann alles anders sein. Könnte dein Leben zu Ende sein. Könntest du alles verlieren. Von jetzt auf gleich könnte das, was am Tag zuvor noch groß und wichtig erschien, komplett an Bedeutung verlieren. Irgendwie erschreckend.

Erdbeben ganz anderer Art

Mir ist bewusst, dass es dafür nicht ein Erdbeben braucht. Keines der Art, wie wir es letzte Nacht erlebt haben. Vielleicht hast du vor kurzem ein Erdbeben ganz anderer Art erlebt. Deine gesamte Welt wackelt. Nichts scheint mehr fest und sicher. Vielleicht ist es eine Krankheit, eine neue Diagnose oder auch der Kampf mit den immer währenden Schmerzen.

Vielleicht ist es ein Kind, das ganz andere Wege geht, wie du es dir gewünscht hättest, vielleicht ist ein lieber Mensch gestorben, vielleicht ist deine Arbeit unsicher, deine Ehe am bröckeln. Vielleicht erlebst du am laufenden Band Nachbeben und weißt gar nicht mehr genau, wo du dich noch festhalten kannst. Vielleicht wackelt dein Bild von dir selbst, vielleicht hasst du dich selber für etwas, was du getan oder nicht getan hast. Vielleicht stehst du vor dem Trümmerhaufen einer Beziehung und du hast keine Ahnung, wie du daraus wieder etwas neues bauen kannst.

In unserem Leben gibt es Beben ganz unterschiedlicher Art. Und ich bin mir sicher, dass jeder schon mal eines erlebt hat, oder erleben wird. Die Stärke mag variieren, aber der Effekt in uns ist ähnlich: nichts ist so, wie es vorher war. Sicherheiten schwinden. Die Zukunft vernebelt sich. Ich bin am Boden und kenn den nächsten Schritt nicht mehr.

Mein persönliches Beben

Ich selbst habe das am 29. Februar 2012 erlebt. Ich saß mit meinem kleinen Sohn Gideon, gerade mal fünf Monate alt, im Wartezimmer eines Radiologen in Freiburg. Danny hatte einige Symptome, die er abklären wollte. Dafür ließ er ein MRT seines Kopfes machen. Wir warteten. Innerlich dachte ich immer wieder: nein, das kann nicht sein. Dannys Onkel und Tante hatten bzw. haben MS, sein Bruder hat es, nein, das kann doch nicht sein, dass er es auch hat. Ich schob diese Gedanken weg.

Doch dann wurden wir ins Zimmer gerufen. Auf einem großen Monitor sahen wir die Bilder von Dannys Kopf. Gideon saß etwas unruhig auf meinem Schoß, als uns der Arzt ehrlich und irgendwie auch traurig sagen musste, dass die weißen Flecken nichts gutes bedeuten und auf MS schließen lassen. Unter mir bebte es. Ich verstand kaum noch, was geredet wurde. Mein Mann also auch MS krank? Alles war plötzlich anders.

Als wir in die Sonne nach draußen traten, vor der Tür, hob Danny seine Arme und lobte Gott. Ich konnte das in diesem Moment nicht...

In mir zerbrachen meine Lebensträume. Der Traum von einer großen Familie. Der Traum vom Leben im Ausland im Dienst für den Herrn. Wollte Gott das etwa alles nicht mehr für mich? Meine Sicherheiten schwanden dahin. Wird Danny je mit seinem Sohn Fußball spielen können, wie lange wird er uns versorgen können?

In der darauf folgenden Zeit allerdings erlebte ich Gottes Hilfe und Zuspruch. Und ich durfte über die Jahre einen gewissen Frieden finden. Gott war treu und wir sind seinen Weg für uns weiter gegangen. Ins Ausland. In eine große Familie. Im Glauben und Vertrauen auf ihn!

Wo bebt es bei dir?

Ich weiß nicht, wo du gerade stehst. Fühlst du dich wackelig auf den Beinen, unsicher und verlassen von Gott? Ist deine Zukunft nur ein einziger dichter Nebel vor deinen Augen? Siehst du den nächsten Schritt nicht? Hast du Angst und überwältigt dich ein Sorgenheer, manchmal des nachts, wie uns das Erdbeben zuletzt und du bist machtlos dagegen?

Doch dann kommt Gott ins Spiel

Dann will ich dir laut einen Vers zurufen! Es ist ein Satz, ganz am Ende der fünf Bücher Mose. Was für eine Geschichte lag hinter dem Volk Israel, was für eine Tragöde, was für Treubrüche und was für Wunder haben sie doch erlebt. Aber Gott war seinen ungehorsamen Kindern immer treu gewesen, auch wenn sie ihn bis ans Äußerste getrieben hatten.
Was steht nun hier, am Ende der langen Wüstenwanderung?

Eine Zuflucht ist der Gott der Urzeit,
Und unter dir sind ewige Arme.

(5. Mose 33, 27)

Gott ist der gleiche von Ewigkeit.
Er ist unsere Zuflucht!
Er ist unser sicherer Ort!
Er ist unsere Burg und unser Schild.
Bei ihm dürfen wir uns immer bergen!
Wenn alles wankt, er steht fest!

Seine ewigen, liebenden Vaterarme sind unter dir. Immer. Unerschütterlich.
Wenn du fällst, du fällst in sie.
Den ganzen Weg, bis in unser verheißenes Land,
sind seine Arme unter dir und tragen dich.

Fasse Mut!
Eine Zuflucht ist dir der Gott der Urzeit!
Unter dir sind seine ewigen Arme! Immer!

Photo by Yves Moret on Unsplash

Eine Jugend ohne Gott

Je älter mein eigener Sohn wird, desto mehr bekomme ich einen Blick für die Jungs hier. Und ich muss sagen, dass es mir oft das Herz bricht, die Jungs hier zu sehen. Es tut mir irgendwie so leid, dass sie hier so wenig Perspektive für ihr Leben finden können. Es tut mir so leid, dass oft schon sechszehn- oder siebzehnjährige nach England gehen, allein auf sich gestellt, fern ab von der Familie, die ihnen immer Halt gegeben hatte.
Die meisten, die ich über ihre Zukunftspläne frage, antworten, dass sie ins Ausland wollen. Ins verheißene Land, das für viele bald zu allem anderen als dem wird.

Vor ein paar Tagen war ich in einem abgelegenen Dorf. Dort traf ich auch zwei Jungs. Tolle Kerle, wie ich fand. Fertig mit der Schule und nun zuhause gefangen, am Kühe und Schafe hüten. Ein abgeschiedenes Leben. Ohne Perspektive. Ohne Träume. Ohne große Hoffnung auf Besserung. Es tut mir im Herzen weh.

Viele Jungen hängen den ganzen Tag auf den Straßen der Stadt rum. Es gibt hier außer Billard spielen nicht viel zu tun. Einige nehmen Drogen und der Sohn einer Freundin kam vor kurzem deshalb ins Gefängnis.
Da scheint niemand zu sein, der sich dieser Jungs annimmt. Der sie liebt und in sie investiert. Der sie das Leben lehrt. Jungs werden oft gar nicht erzogen. Sie gehen meist schon recht früh ihre eigenen Wege. Die Väter sind oft zuhause nicht präsent und die Mütter haben den heranwachsenden Jungs auch nichts mehr zu sagen. Erziehung geschieht hier oft noch durch schlagen aber das ist auch nicht die Methode Nummer eins, um die Herzen zu erreichen.

Wir beten schon lange, dass wir einen Mitarbeiter finden, der sich in diese junge Generation an Jungen investiert. Der sie liebt und formt im Namen Jesu und der ihnen eine andere Perspektive aufzeigt. Der ihnen von der Hoffnung in Jesus erzählt. Der hinter die äußere coole Fassade blickt und blicken darf und trotzdem bedingungslos in der Liebe Jesu liebt. Wir brauchen Mitarbeiter, die ein Herz für diese verlorenen Jungs hat. Für diese Generation, diese Jugend ohne Gott. Jesus hat dieses Herz für sie und er liebt sie und hat sie nicht vergessen. Daran muss ich mich immer wieder erinnern.

Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte schickt!

Photo by Papaioannou Kostas on Unsplash

Mein Frust und wie mich Gottes Gnade fand

Ich lebe nun ziemlich genau 6 Jahre hier in Albanien. Vieles ist normal geworden. Das fällt mir gar nicht mehr auf. Über anderes habe ich gelernt, hinwegzusehen. Anderes kann ich nur aushalten, weil ich es mit Humor nehme. Und das allermeiste schaffe ich nur, weil Gottes Gnade mich dazu befähigt. Mir Liebe schenkt und Geduld und Nachsicht und Freude. Ja, ohne seine Gnade würden wir hier sicher nicht mehr in Freude leben.

Dennoch gibt es auch immer mal wieder Momente, in denen mich der Frust überkommt. Vielleicht sind es auch späte Kulturschocks. Man könnte auch einfach sagen: manchmal bekomme ich den Koller! Da schreit alles in mir. Da kommen mir die Tränen und die Wut zugleich hoch. Ich weiß, dass alle, die ebenso wie ich im Ausland leben, sehr gut verstehen, was ich meine...

Gestern war so ein Moment. Ich bin dabei, Jemima in dem städtischen Kindergarten einzugewöhnen. Diese Aufgabe hatte ich vor drei Jahren mit Gideon und Livia schon einmal. Sie gingen nach einer gewissen Zeit dann auch gerne hin und ich brachte sie hin und war dann wieder weg. Ehrlich gesagt hielt ich mich, glaub ich, absichtlich etwas fern von einem tieferen Eintauchen in dieser Zeit, da ich weiß, wie es mich schon damals echt umgetrieben hat, die Zustände dort zu sehen.

Aber jetzt bin ich wieder damit konfrontiert. Ich dachte, meine Seele ist schon abgehärtet. Ich hab hier schon so viel gesehen. Ich weiß ja, wie es hier läuft. Bin abgeklärt, könnte man sagen. Hab mich abgefunden, dass meine Kinder nun mal nicht den toll ausgestatteten deutschen Kindergarten genießen können. Aber gestern traf es mich wieder. Es stach mich mitten ins Herz. Und ich hätte weinen können. Vielleicht bin ich doch nicht so abgeklärt, wie ich dachte, gleichgültig und: so ist es halt, die anderen haben es auch gut überlebt. Und vielleicht ist das gut so. Wahrscheinlich ist es einfach die große Liebe zu meinem Kind, die ihm das allerbeste wünscht.

Von was rede ich eigentlich? Kindergarten läuft hier ganz anders ab. Es gibt kaum Spielsachen. Obwohl wir vor einigen Jahren jeden Kindergarten mit mehreren Bananenkisten Spielsachen versorgt hatten, ist davon nicht allzu viel übrig. Und das, was da noch ist (auf meine Anfrage hin) ist vermischt mit anderen Sachen, mit Müll und kaputten Teilen in einer Kiste. Da blutet mein Ordnungsherz. Wo ist nur die schöne große Kiste mit Duplo Steinen hin?
Dann ist die Erzieherin allein mit bis zu dreißig Kindern. Ich ziehe echt meinen Hut vor ihr. Aber es gibt ständig Ablenkung während des Programmes. Das Handy klingelt mitten im Stuhlkreis, eine Mutter steht vor der Tür, ein Kind muss auf Toilette, ein Papa möchte sein Kind abholen etc. ...

Als ich nachhause ging, da war ich innerlich aufgewühlt und unruhig. Ich fragte Jesus um Rat und bat auch um Vergebung, wo ich in meinem Herzen schlecht über die „Albaner“ und ihre Kindergärten dachte. Aber es fällt mir einfach so schwer, manches hier einfach mit Freude anzunehmen, wenn es doch so sichtlich nicht optimal ist.

Später las ich meine Texte für diesen Tag aus meinem Bibelleseplan. Es war der 1. Petrusbrief dran. Dort geht es viel um das Leiden um Jesu Willen. Ich möchte mein Erlebnis vom Vormittag nicht als großes Leiden darstellen, aber für mich war es das. Es ist ein Leiden um Jesu Willen, das ich in Kauf nehme, weil ich hier lebe und ihm hier diene. Ohne Jesus wären wir ganz sicher nicht hier!

Ein Vers sprach mich dann besonders an. Da werden eigentlich Sklaven angesprochen, die einem schlechten Herrn dienen müssen. Es heißt da:

„Wenn ihr aber ausharrt, indem ihr Gutes tut und leidet, das ist Gnade bei Gott. Denn hierzu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel hinterlassen, damit ihr seinen Fußspuren nachfolgt.“ (1.Petrus 2,20-21)

Ausharren, Gutes tun und Leiden. Das gehört alles zusammen für einen Christen, der Jesus nachfolgt. Es war gut für mich, mir das ins Gedächtnis zu rufen. Auch die Umstände im Kiga (und der Schule hier) bedeuten für mein Mutterherz ein Leiden. Aber es ist Gnade bei Gott, wenn es so ist. Gnade bei Gott. Was kann es besseres geben.
Plötzlich wurde aus meinem Frust Dankbarkeit. Und Annahme und Bereitschaft, dieses Leiden auf mich zu nehmen. Denn es ist Gnade bei Gott.

Nur ein Besuch im Dorf?

Vor einigen Tagen besuchte ich mit meiner Freundin von hier ihre Familie im Dorf. 

Krume ist ja die regionale „Hauptstadt“, kaum zu glauben, wenn man sie sieht, aber im Vergleich zu den vielen kleinen und verstreuten Dörfern drum herum ist sie wirklich eine Stadt. 
Da die Ferien hier ja schon seit Anfang Juni am laufen sind und es echt nicht immer leicht ist, die Kinder hier bei Laune zu halten, empfand ich es als eine schöne Abwechslung, mal ins Dorf zu fahren. Dort läuft das Leben noch mal ganz anders ab. Fast jeder im Dorf hat Tiere: Hühner, Schafe, Kühe, Ziegen. Und dann noch Gärten und Felder und Obstbäume. Außerdem gibt es meistens noch irgendetwas anderes interessantes für Kinder zu entdecken. (Tatsächlich haben wir in diesem Dorf ein halbes Skelett von einer Kuh gefunden, das Gideon spontan als eine Motorsense umfunktionierte und uns die Beine abschneiden wollte... nichts wie weg...:) 
Die Menschen sind extrem gastfreundlich und auch wenn das Essen oft sehr einfach ist, wir genießen es und es schmeckt einfach toll. Unsere Kinder lieben es, bei Albanern zuhause zu essen. 

An diesem Morgen bereitete ich nun alles für unseren mehrstündigen Besuch vor. Kurz bevor es losging nahm ich mir noch einige Momente in der Stille vor Gott. Ich betete für die Zeit. Irgendwie kam ich vorher gar nicht dazu. Ich war zu sehr mit den Kindern beschäftigt und einfach mit der Tatsache, dass es eine willkommene und schöne Abwechslung werden wird.

Als ich so betete, da war es wie Gottes Stimme, die ich hörte: 
„Rahel, du bist meine Botschafterin. Ich sende dich in dieses Dorf. Es ist ein Dorf, das noch unberührt ist von meinem Evangelium. Du bist meine Botschafterin des Friedens. ICH sende dich dort hin. Du bringst mein Reich dorthin. In ein Dorf, das mich nicht kennt, zu Menschen, die mich nicht kennen. Das ist ein Privileg. Du gehst in meinem Namen. Es ist viel mehr, als nur ein Besuch.“

Ich war innerlich echt berührt. Ja, ich bin eine Botschafterin Jesu, egal wo ich hin gehe und mit wem ich hingehe. Und auch wenn ich vier Kinder im Schlepptau habe...

Und interessant war dann, dass die Frau, etwa in meinem Alter, die das Essen vorbereitete, erzählte, wie vor vielen Jahren, als sie noch ein Kind war, mal Deutsche in ihrem Dorf waren und ihr von Jesus erzählt haben. Sie kannte noch den Namen Jesus. Und jetzt, nach vielen vielen Jahren, kam wieder eine, die von ihm erzählte...

Als wir nach fünf Stunden zurück fuhren, kamen wir an der alten Moschee des Dorfes vorbei. Sie hatte selbst die Zeit des Kommunismus einigermaßen heil überstanden. Die Menschen in diesem Dorf sind alle Muslime. Sie brauchen Jesus. Sie brauchen Rettung. Wie gut, dass Gott mich wieder in diese Realität zurückgerufen hatte. 

Eine von Ihnen

Vor ein paar Tagen habe ich mit einer lieben Freundin telefoniert. Sie war selbst vier Jahre in Krume und ein halbes Jahr hatten wir noch gemeinsam hier. Als ich so auf dem Balkon saß, konnte man im Hintergrund die für den Sommer übliche laute Musik hören, die zu Verlobungen oder Hochzeiten gespielt wird. (In unseren Ohren klingt sie bissle Türkisch, also komplett anders als unser Ohr normal gewöhnt ist.)

Uli meinte dann, dass sie das in Deutschland ja schon vermisst, diese Feststimmung im Sommer in Krume. Oh, das man das mal vermissen wird, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Uns nervt es eher manchmal, die immer gleichen Lieder, von 7-12 Uhr und dann wieder am Abend ab 19 Uhr. Aber wie mit den meisten Dingen, die man manchmal gar nicht schätzt, wenn man sie nicht mehr hat, dann vermisst man sie.

Während ich das hier schreibe läuft auch wieder laute Musik. Gute Bekannte verheiraten ihren Sohn. Am Sonntag ist die offizielle Hochzeit mit Bankett etc. Aber seit Mittwoch Abend treffen sich alle Verwandte und Freunde und Nachbarn am Abend und sitzen zusammen und tanzen. Unterhalten kann man sich bei dieser ohrenbetäubenden Musik nicht viel. 

Gestern Abend war ich mit meinen beiden großen Kids dort. Sie wollten so gerne gehen, da auch ihre Freunde gingen. Das war sehr besonders für sie, um 20:30 Uhr nochmal raus zu gehen. Viele Kinder waren da und es war echt eine schöne Atmosphäre. Männer und Frauen sitzen natürlich getrennt voneinander. Die Männer trinken ihr Bier und rauchen und die Frauen Vergnügen sich beim Tanzen. 

Das schöne an dieser Hochzeit ist, dass ich aus dieser Familie sehr viele kenne. Meine Nachbarinnen, meine engen gläubigen Freundinnen, alle sind aus diesem Clan. Gestern saß ich in dem kleinen Garten, der hübsch albanisch dekoriert war, dicht gedrängt mit den anderen, immer wieder trafen mich freundliche Blicke, ich zwinkerte vertraut einer Freundin zu, ein wissendes Lächeln. Ich bin eine von ihnen. Ich gehöre irgendwie dazu. Das war so ein schönes Gefühl. Wenn ich mich in den Gruppentanz einreihte und im fremden Rhythmus, der gar nicht mehr ganz so fremd ist, zu wirklich ohrenbetäubend lauter Musik mich bewege. Das ist Albanien. Das ist auch das Leben hier. Zutiefst Kultur. Ich dachte: wenn das hier für mich „normal“ und schön ist, dann bin ich wirklich angekommen. Und das war es. Ich bin angekommen. Ich liebe es.

Und es war so schön so geballt zu sehen, wieviele Menschen ich hier kenne und auch liebend wertschätze. Und wie sie mich lieben und küssen und gar nicht mehr loslassen. Das tat mir gut. Menschen, mit denen ich die letzten sechs Jahre meines Lebens Leben geteilt habe. Menschen, die irgendwie zu mir gehören und die mir ans Herz gewachsen sind. Obwohl doch alles so anders ist und sich manchmal auch anfühlt. 

Doch an diesem Abend, im schwachen Licht der aufgehängten Glühbirnen, in der abendlichen Wärme, bei diesen vertrauten Klängen, da gehöre ich einfach dazu. Da bin ich nicht die Deutsche. Da bin ich eine von ihnen. Und ich genieße dieses Gefühl.

Eine Hochzeit in Nordalbanien…

…ist definitiv anders, als ich es bisher kannte…

Einen Tag vor der ersten Hochzeitsfeier kommen Nachbarn und die engste Familie zu dem Haus der Braut. Dort werden dann alle Handarbeiten, die die Braut gemacht hat präsentiert: einen Koffer mit gehäkelte Tischdeckchen/Perlentischdecken, einen mit gestrickten Pullis und Socken, alles in vielen verschiedenen Varianten. Danach werden die Geschenke gezeigt, die die Braut bekommen hat: Umschläge mit Geld, viele Koffer mit neuen Kleidern (die Kleider von vor der Hochzeit zieht man nicht mehr an), Schuhen, Schmuck, Taschen und bei allem wird der Name des Schenkenden dazu gesagt.

Dann kommt die Braut in einer traditionellen Kleidung dazu, zeigt sich einmal und geht wieder ins Haus rein. Lächeln darf sie nicht, sondern es wird erwartet, dass sie weint, da sie bald ihre geliebte Familie verlassen wird und in eine neue Familie kommt. Die letzten Tage vor der Hochzeit verbringt die Braut in ihrem Zimmer und hat wenig Kontakt zur Außenwelt.

Am ersten Tag der offiziellen Hochzeit feiert die Braut mit ihrer Familie und Freunden. Frühmorgens wird sie einige Stunden lang gestylt, weil alles perfekt aussehen soll. Die Feier findet mit ca. 200 Leuten in einem gemieteten Feiersaal statt. Der Bräutigam kommt zwischendurch ca. 2 Stunden mit 25 engen Familienangehörigen dazu und geht dann wieder. Es wird fast die ganze Zeit traditionell im Kreis getanzt, vorher wird angekündigt, welcher Teil der Familie dran ist mit Tanzen. Die verschiedenen Tänze lernen alle von kleine auf und deshalb tanzt auch jeder Mal mit. Die ganze Zeit über wird Essen verteilt und gegessen. Es wird immer wieder viel Fleisch auf die Teller nachgelegt, auch wenn man noch welches auf dem Teller hat. Die Braut steht den großen Teil des Festes alleine (oder mit ihrem Mann) vor Kopf des Saales und wird immer wieder von Gästen beglückwünscht. Bei manchen Tänzen kommt sie dazu. Ein spezieller Kreistanz wird von 20 Frauen in der traditioneller Kleidung vorgeführt. Es gibt auch einen eigenen Tanz des Brautpaares bei dem Gäste Geld auf das Paar werfen können. Zwischendurch liest der DJ Glückwünsche von Familienangehörigen aus dem Ausland vor, die nicht kommen konnten.

Am zweiten Tag wird die Braut morgens (wieder nach intensivem Styling) mit viel Gehupe und einer Autokolonne vom Bräutigam und seiner Familie abgeholt und in ihr neues Zuhause gebracht. Es wird erwartet, dass die Braut weint, was sie meistens auch tut, weil sie ihre neue Familie, bei der sie wohnen wird oft nicht wirklich kennt. Nachmittags feiert der Bräutigam dann mit seiner Familie, die Familie der Braut kommt wieder mit einigen Leuten für kurze Zeit dazu. Der Ablauf der Feier ist ziemlich ähnlich.

Am nächsten Tag kommen Nachbarn und die engste Familie zum Haus des Bräutigams und es werden wieder die ganzen Handarbeiten und Geschenke gezeigt wie am Tag vor der ersten Feier. Die Braut steht still und traurig daneben.

An diesen ganzen Feierlichkeiten wird das Brautpaar genaustens beobachtet und es ist wichtig alles richtig zu machen, wenn man möchte, dass nicht schlecht geredet wird. Die Fassade nach außen muss stimmen. Für die Braut ist es wichtig, dass ihre neue Schwiegerfamilie zufrieden mit ihr ist und sie schön findet. Deshalb hat die Schwiegerfamilie einen großen Einfluss auf die Wahl des Kleides, je pompöser umso besser. Die Braut steht vorher und während der Feiern durch das ganze ziemlich unter Stress. Es ist außerdem wichtig, dass die Braut sich verändert für die Hochzeit, deshalb färben sich die meisten Bräute vor der Hochzeit ihre Haare und werden sehr stark geschminkt. Teilweise erkennt man die Braut nicht wieder. Es macht den Eindruck, dass das Fest und alles drum herum mehr für die Gäste und für den guten Ruf ist, als dass das Brautpaar es genießen und feiern kann.

Was mich auch nach 6 Jahren in Albanien immer noch herausfordert

Ich habe hier zwei liebe Freundinnen, die auch an Jesus glauben, mit denen ich bete und Bibel lese. Diese zwei Frauen sind mit fanatischen Männern verheiratet. Was das bedeutet hat Danny hier ausgeführt. Wenn ich sie sehen will, dann muss ich zu ihnen nach Hause gehen. Sie können aus verschiedenen Gründen so gut wie nie zu mir kommen.

Nun hatte eine von beiden Geburtstag und ich wollte sie schon sehr lange mal in ein schönes Café etwas außerhalb von Krume, aber nicht weit, einladen. Einfach mal ein anderes Umfeld, eine andere Ambiente, mal raus von den teilweise auch erdrückenden Umständen in ihrem zuhause. Wir hatten es ausgemacht und ich hatte den festen Glauben, dass es klappen wird. Zum Geburtstag mal einen Kaffee trinken zu gehen ist hier eigentlich selbst für Frauen mit fanatischen Männern schon drin.

Als ich mich dann heute nochmal vergewissern wollte, ob es auch klappt, musste ich die Nachricht hinnehmen: „Nein, nein, wir haben keine Erlaubnis.“

Irgendwie hat es mich diesmal mehr getroffen. Ich kenne ja die Kultur hier nun schon seit fast sechs Jahren. Ich kenne diese teilweise oft unerträglichen Umständen mancher Frauen hier leider viel zu gut. Ich kenne diese Engstirnigkeit. Ich kenne diese Männer, die selbst den ganzen Tag unterwegs sind und sich nicht blicken lassen, aber ihre Frauen zuhause einsperren und ihnen jegliche Freiheit nehmen. Ich kenne es nur zu gut. An manchen Tagen nehme ich es hin, weil es halt so ist. An anderen Tagen, da macht es mich innerlich traurig und wütend zugleich.

Es tut mir für mich leid, dass ich hier nicht einmal mit meinen guten Freundinnen einfach einen Kaffee trinken kann. Aber noch mehr tut es mir für diese Frauen hier leid. Stell dir vor, du müsstest bei allem, was du tust, deinen Mann um Erlaubnis fragen. Er entscheidet, was du tun darfst und was du lassen musst. Er entscheidet alles über dich. Stell dir vor, dass das ein Mann ist, der selbst sich nur rumtreibt, keine geregelte Arbeit hat, sein Geld verspielt oder vertrinkt, dich anschreit und keinen Finger krumm macht zuhause. Stell dir vor, dass dieser Mann über dich und dein Leben entscheiden darf.

Ich finde es schlimm. Heute finde ich es richtig schlimm. Und ich leide innerlich mit all diesen Frauen (und es gibt derer unzählige auf dieser Welt), die so leben müssen.

Und ich will einmal mehr dankbar sein, dass ich zu den glücklichen Frauen gehören darf, die einen Mann hat, der sie liebt, der sie schätzt, der ihr Freiheit gibt und der sich um sie und ihre Kinder liebevoll kümmert. Ein Geschenk! Etwas, was wir viel zu schnell als selbstverständlich ansehen!

Meine beiden Freundinnen, nun, die werde ich wieder in ihrem zuhause besuchen gehen. Und wir werden dort wieder unseren türkischen Kaffee trinken. Oder ich rufe selbst ihre Männer an und frage um Erlaubnis. Ganz sicher werden sie mir gegenüber ja zu dieser Unternehmung sagen...

Ansonsten kann ich nur beten und sie der Gnade Jesu anbefehlen! Und ich kann meinen Frust und keine Traurigkeit zu Ihm bringen! Und dort lassen. Und von dort aus weitergehen und die Menschen hier lieben und achten, auch diese fanatischen Männer..

Vom Vorrecht Deutscher zu sein

Weißt du was einer der Sätze ist, die ich in meiner Zeit hier in Albanien am meisten gehört habe?

Wenn ich den Menschen hier in Albanien erzähle, dass ich Deutscher bin, kommt immer wieder die gleiche Aussage: "Was? Wir Albaner wollen alle nach Deutschland und du kommst hierher? Wie kann das sein?"

Diesem Erstaunen kann ich dann begegnen, indem ich erzähle, dass Gott mich nach Albanien gesandt hat, als Hoffnungsbringer. Ich soll den Menschen von Gottes Liebe erzählen und von dem, was er in Jesus getan hat.

So war es auch letzten Dienstag, als ich wegen einer Kleinigkeit zur deutschen Botschaft nach Tirana musste. Ich hatte einen Reisepass beantragt und dieser war nun fertig und abholbereit.

Als ich nach einer dreistündigen Busfahrt und einem 15 Minuten Fußweg an der Botschaft ankam, warteten dort in der heißen Morgensonne eine Schar von jungen Leuten vor einem verschlossenen Tor. Mich überfiel gleich die Angst, dass ich mich nun in diese lange Reihe von Wartenden anstellen muss.

In meiner Verzweiflung sprach ich einen jungen Mann an. Ich fragte ihn, ob er weiß, wie das ganze mit der Botschaft läuft. Natürlich erwähnte ich auch, dass ich Deutscher bin und zum Beweis zeigte ich meinen Personalausweis. Der junge Mann sagte dann genau das, was ich oben schon erwähnte. Wie kann es sein, dass ich als Deutscher nach Albanien gekommen bin. Durch meine deutsche Identität änderte sich dann alles.

Der Mann machte mir Mut, an das verschlossene Tor zu treten und um Einlass zu beten. Ich war erst zögerlich, weil ich mir keine Sonderrechte herausnehmen wollte, aber ich wusste, das war meine einzige Hoffnung, ohne stundenlanges Warten an meinen Pass zu kommen. So wagte ich es und ersuchte Einlass. Als der Sicherheitsmann hörte, dass ich Deutscher bin, wurde ich gleich herein gebeten. Auch der Wachmann war voller Erstaunen, dass ich als Deutscher hier bin und auch noch die Sprache spreche.

Nach einer kurzen Kontrolle konnte ich hoch in das Gebäude. Doch als ich dort eintrat, fand ich einen Raum voller junger albanischer Männer vor. Es waren bestimmt 10. Und jeder hatte einen dicken Ordner mit Anträgen dabei. Jeder wollte ein Visum erhalten, um in Deutschland arbeiten zu können. Man machte mir klar, wo ich mich hinzusetzen habe, damit ich auch schön der Reihe nach dran komme.

Doch ich wusste, wenn ich mich jetzt mit meinem Anliegen, einen Reisepass abzuholen, in dieser Schlange von 10 Leuten anstelle, sitze ich Stunden da für eine Erledigung von 5 Minuten. Nach einigem Ringen mit mir selbst wagte ich es dann: Ich ergriff laut das Wort, so dass alle mich hörten und erklärte mein Anliegen. "Ich bin Deutscher und ich muss nur kurz was abholen. Wäret ihr so nett und würdet mich vorlassen." Puh, das war nicht leicht. Aber tatsächlich ließen sie mich alle vor und als der nächste Schalter frei war, konnte ich meinen Pass abholen.

Nach 5 Minuten verließ ich dankbar die Botschaft. Und ich staunte über dieses Vorrecht, einen deutschen Pass zu haben. Die meisten der jungen Männer hatten nur einen Wunsch: Sie wollten nach Deutschland und wenn möglich, sich dort ein neues Leben aufbauen. Und hier war ich nun mit allen Vorrechten eines Deutschen. Dieses Geschenk meiner deutschen Staatsangehörigkeit wurde mir mal wieder so erschütternd bewusst. Was habe ich dafür getan ein Deutscher zu sein? Gar nichts. Und was hatten die Jungs verbrochen, in einem Land voller Korruption geboren zu sein? Auch gar nichts.

Am Abend als ich wieder in Krume war und das Treffen mit meiner Bibelgruppe hatte, erzählte ich ihnen diese Geschichte. Mir war es ein wenig unangenehm, aber dann schenkte der Heilige Geist mir einen Gedanken. Ich konnte die zehn anwesenden Männer darauf hinweisen, dass am Ende nur eine Frage zählt. Nicht, ob wir Deutsche oder Albaner sind, sondern, ob wir Bürger des Himmels sind. Ich erzählte ihnen von Philipper 3,20 wo Paulus von unserem Bürgerrecht im Himmel schreibt. Und ich sagte: "Männer, ich kann eure Staatsangehörigkeit nicht ändern. Aber ich kann euch sagen, wie ihr Bürger des Himmels werden könnt. Und ich wünsche mir, dass ihr dieses Angebot annehmt. Es ist umsonst. Und es ist etwas viel besseres, als Deutscher zu sein."

Am Ende des Tages war ich voller Staunen über die Gnade, dass ich die Vorrechte eines deutschen Staatsbürgers genießen darf und ich staunte über die Gnade, dass Gott jeden Menschen, der an ihn glaubt, zu einem Bürger des Himmels macht.

Was du über den Umgang der Albaner mit Krankheit wissen musst

Vor kurzem war ich mit meiner Teamkollegin, die Physiotherapeutin ist, zu einem Besuch auf dem Dorf. Die junge Frau, die wir besuchten ist gerade mal 23 Jahre alt. 

Vor einem Jahr war sie noch verlobt. Sie konnte noch laufen. Sie konnte normal reden. Sie konnte allein essen. Sie war eine ganz normale junge Frau, die sich auf ihr Leben freute, auf die Heirat, die Kinder. Sie hatte Arbeit und ein Leben, wie jede andere. Da war sie noch gesund. 

Doch jetzt, ein Jahr später, ist alles anders. Sie sitzt auf dem Sofa, recht steif und unbeweglich. Vor der Tür steht ein Rollstuhl. Ihre Hände zittern und ihre Stimme will nicht mehr so ganz, wie sie es möchte. Sie kann weder laufen, noch alleine essen. Ihr Verlobter hat die Verbindung gelöst und hier sitzt sie, wie ein Häufchen Elend. Alles, alles ist so anders geworden. 

Ihre Krankheit? MS. Und davon die wohl aggressivste Form. Innerhalb von einem Jahr so dermaßen abzubauen, das gibt es nicht oft. Bei jedem Besuch in der Physiotherapie wurde ihr Zustand ein wenig schlechter. Es ist schlimm, das mit ansehen zu müssen. 

Diese junge Frau, ich nenne sie Maria, besuchen wir. Wir wollen ihr in ihrem Elend begegnen und sind doch erstmal angesichts der Tragik ihres Lebens nicht wirklich dazu in der Lage. Was soll man sagen, welche Worte finden für solch ein Schicksal?

Wir sitzen eine kleine Weile mit Maria und ihrer Mutter, sichtlich auch schon am Ende ihrer Kräfte, zusammen, da kommt Besuch. Eine Nachbarin. Wie mir scheint kommt sie öfter vorbei. Sie umarmt Maria und fragt sie, wie es ihr geht. Leise sagt sie: „Nicht gut. Mir geht es nicht gut.“ Wie ein sich wiederholendes Tape redet dann die Nachbarin auf sie ein: „Doch, es geht dir besser, du wirst wieder gesund, alles wird wieder gut, morgen ist alles wieder besser. Dir geht es gut. Du musst nur mehr essen.“ Ich sehe Maria an, ihr Blick leer gerade aus, wie sie leise immer wieder sagt: „Es geht mir nicht gut.“ Doch das schien bei der Frau gar nicht anzukommen. Eine komische Szene. 

Und doch spiegelt sie so gut wieder, wie wir hier den Umgang mit Krankheit und Sterben erleben. Es wird alles weggeredet. Das fängt schon bei den Ärzten an, die wirklich in vielen Fällen einfach nicht die Wahrheit sagen. Weil man das doch nicht macht. Damit wird eine schlimme Diagnose doch noch schlimmer, so möchte man glauben. Maria wurde bis zum Schluss gesagt, dass sie nicht wirklich krank ist, sondern dass alles nur vom Stress kommt. Unglaublich. Obwohl doch alle Scans etwas anderes beweisen...

Alles wird immer wieder gut. Das ist das bekannte Gerede auf die Nachricht von Krankheit. Zu Beginn unserer Zeit hier hatten wir Kontakt zu einem schwer krebskranken Mann. Er sah schon fast tot aus, so abgemagert und regungslos. Aber die Angehörigen konnten dem Tod nicht in die Augen sehen. Sie ließen den sterbenden Mann noch nach Italien bringen in der Hoffnung, dass dort das medizinische Wunder geschieht. Es geschah nicht, und der tote Angehörige musste teuer wieder zurück nach Albanien überführt werden. 

Als ich am Sterbebett unserer Nena Ajshe saß, sie im Koma lag und jeder nur zu gut wusste, dass es ihrem Ende entgegen ging, selbst da stemmte sich jeder noch innerlich, oder vielleicht auch nur äußerlich gegen diese Tatsache. Nein, sie hat nur Grippe, sie wird schon wieder, das ist alles nicht so schlimm. Weint nicht! Sie wird wieder! Ich stand dabei und wusste nicht, was ich denken sollte. 

Mittlerweile kenne ich diese Art unserer albanischen Freunde hier. Ich habe ein Stück weit gelernt, damit umzugehen. Da wir auch in unserer Familie gerade schwere Krankheit haben, bekommen wir es am eigenen Leib zu spüren. Das für uns doch sehr oberflächliche Gerede von „das wird schon alles wieder“, das kennen wir, kann einen aber manchmal auch zu viel werden.

Zurück zu Maria. Gott schenkte uns noch Gelegenheit, zu dieser Frau zu reden. Wir konnten für sie beten und ihr von der Hoffnung in Jesus erzählen. Das haben wir versucht, so einfühlend wie möglich zu tun. Nicht das Leid und die Traurigkeit und die Tränen und die Schmerzen leugnen. Sie sind da. Es geht ihr nicht gut. Und es ist nur so verständlich, dass es ihr nicht gut geht. Wie würde es mir gehen...? All das Schwere ist da. Es wird nicht weggehen, wenn sie beginnt, mehr zu essen. Aber wir haben eine Hoffnung, die all das Schwere durchdringen will und kann! Und diese Hoffnung heißt Jesus!

Ich glaube mittlerweile, dass diese Art der Albaner, mit Krankheit, Leid und Tod umzugehen, einfach daher kommt, dass sie keine andere Antwort darauf haben. Sie haben keine Hoffnung über dieses Leben hinaus. Sie haben nur die Hoffnung, dass es irgendwie wieder besser werden wird und das wird mit Worten herbeigeredet. Es ist ihre Art, mit all dem Elend umzugehen und es durch wohl gemeinte Worte irgendwie zu lindern. Maria hat sich getraut, auszusprechen, was sie empfand: „Es geht mir nicht gut. Du kannst mir einreden, was du willst.“ Das ist mutig in dieser Kultur.

Warum wir stolz auf Albanien sind

Wir hören hier oft, dass wir in Deutschland eine viel bessere Kultur haben. Damit meinen die Albaner hier unterschiedliche Dinge. Sicher meinen sie damit die Gerechtigkeit und Ordnung, die in unserem Land auf jeden Fall mehr herrschen, als hier. Es ist für uns schwer, darauf zu antworten. Klar, sind viele Dinge in Deutschland „besser“.

Aber eine Sache, die ich immer wieder hervor hebe, die die Albaner auszeichnet, ist ihre Gastfreundschaft, ihr sich Kümmern um einen Gast. Das zeigt sich z.B. auch darin, das ein Gast mindestens bis zum Tor begleitet wird, wenn er geht. Oft begleitet man den Gast auch noch einige Meter auf dessen Heimweg. 

Durch Zufall fand ich einen kurzen Artikel auf der Seite von Yad Vashem, der Holocaust Gedenkstätte in Israel. Dabei ging es um die Albaner und ihr Verhalten gegenüber den Juden im Zweiten Weltkrieg. Eben dieses macht mich stolz auf „unsere“ Albaner. Lest selbst diesen beeindruckenden Teil der albanischen Geschichte im zweiten Weltkrieg:


„Es gibt keine Spur von Judendiskriminierung in Albanien, denn Albanien ist heute eines der seltenen Länder in Europa, in denen es weder religiöse Vorurteile noch Hass gibt, obwohl die Albaner selbst sich aus drei verschiedenen Glaubensgruppen zusammensetzen.“ 
Herman Bernstein, der amerikanische Botschafter Albaniens, 1934

„Albanien, ein kleines, bergiges Land an der Südostküste der Balkanhalbinsel, zählte eine Bevölkerung von 803.000 Einwohnern. Darunter waren nur 200 Juden. Nachdem Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatte, fanden viele Juden Zuflucht in Albanien. Es gibt keine genaue Angaben über deren Anzahl, aber verschiedene Quellen gelangen zu der Einschätzung, dass zwischen 600 und 1.800 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich, Serbien, Griechenland und Jugoslawien nach Albanien kamen, in der Hoffnung, von hier aus nach Israel oder an andere Fluchtorte zu gelangen. Nach der Besetzung Albaniens durch die Deutschen im Jahr 1943 weigerte sich die Bevölkerung Albaniens in einem außergewöhnlichen Akt, die Anweisungen der Besatzer zu befolgen und ihnen Listen mit den Namen der Juden auszuhändigen, die unter ihnen lebten. Darüber hinaus versorgten verschiedene staatliche Einrichtungen viele jüdische Familien mit gefälschten Papieren, mit denen sie sich unter die Lokalbevölkerung mischen konnten. Die Albaner schützten nicht nur ihre eigenen jüdischen Bürger, sondern gewährten auch jenen Flüchtlingen Zuflucht, die nach Albanien gekommen waren, als es noch unter italienischer Herrschaft stand, und die nun in der ständigen Gefahr lebten, in Konzentrationslager deportiert zu werden. Die bemerkenswerte Unterstützung, die den Juden entgegengebracht wurde, war begründet in dem Ehrenkodex Besa, der noch heute in Albanien als der höchste ethische Wert gilt. Besa heißt wörtlich „ein Versprechen halten“. Jemand, der nach dem Prinzip Besa handelt, ist jemand, der sein Wort hält, jemand, dem man sein eigenes Leben und das seiner Familie anvertrauen kann. Die Hilfe, die Juden und Nicht-Juden gewährt wurde, kann als Angelegenheit nationaler Ehre verstanden werden. Die Albaner scheuten keine Mühe, um zu helfen, ja sie konkurrierten sogar untereinander um das Privileg, Juden zu retten. Sie handelten aus Mitleid, menschlicher Güte und dem Bedürfnis, Menschen in Not zu helfen, sogar denen, die einen anderen Glauben oder eine andere Herkunft hatten als sie. Albanien, ein europäischer Staat mit einer muslimischen Mehrheit, brachte zuwege, woran andere europäische Länder scheiterten. Alle Juden, die während der deutschen Besatzung innerhalb der Staatsgrenzen Albaniens lebten, und zwar albanische Staatsbürger ebenso wie Flüchtlinge, wurden – bis auf einige Mitglieder einer einzigen Familie – gerettet. Es ist eine beeindruckende Tatsache, dass in Albanien am Ende des Krieges mehr Juden lebten als zuvor.“

So handelt Gott durch die kleinen Dinge des Lebens

In diesen Tagen habe ich mich gefreut zu sehen, wie Gott oft durch unterschiedliche scheinbar kleine Bausteine sein Reich baut. In manchen seltenen Fällen dürfen wir es sehen. Und ich denke, in so vielen anderen Fällen bleibt es unseren Augen verborgen.

Wie sagte es John Piper mal so treffend: 

God is always doing 10,000 things in your life, and you may be aware of three of them.

Gott vollbringt immer 10000 Dinge in deinem Leben, und du bist dir vielleicht drei der Dinge bewusst.

Hier kommt nun eine Sache von Gottes Handeln, dessen ich mir bewusst geworden bin.

Als ich vor zwei Jahren eine Zeit in Deutschland war, schickte meine Mama mir die Zeitschrift der Deutschen Missionsgemeinschaft (DMG) zu. Darin entdeckte ich einen Artikel von einer Familie, die demnächst nach Albanien ausreisen wollte. Ich wurde besonders darauf aufmerksam, weil die Frau, Anne, ebenso wie ich Hebamme ist. Und ich fand sie sehr sympathisch auf dem Foto. Ich nahm mir vor, sie anzuschreiben. Ich holte mir ihr E-Mail-Adresse und nach einiger Zeit schrieb ich sie einfach an. Ich bot meine Hilfe an gerade in der, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, nicht ganz einfachen Anfangszeit in einer fremden Kultur. Bald bekam ich eine freundliche Antwort. Einige Zeit später rief ich dann einfach mal bei der Anne an und vom ersten Satz an waren wir uns vertraut und es war einfach schön, sich auszutauschen und teilzuhaben am gegenseitigen albanischen Leben. Nur, dass sie in der Hauptstadt lebt und wir voll auf dem Lande... 😉

Später besuchten wir sie und sie besuchten uns. Auch konnten wir einander schon auf unterschiedlicher Weise mit unseren Gaben dienen.

Dann zog eine von unseren jungen Gläubigen nach Tirana. Sie hatte einen Mann geheiratet, der nicht gläubig ist, aber früher wohl mal in eine Gemeinde ging. Als ich erfuhr, in welchen Stadtteil sie gezogen war, horchte ich auf. Es war genau der gleiche, in dem auch unsere neuen deutschen Freunde leben. Durch unsere Teamkollegin konnten wir sie miteinander in Kontakt bringen. Ab und zu gehen sie zusammen in die Gemeinde und David trifft sich jetzt wöchentlich mit dem Mann unserer jungen Gläubigen und liest mit ihm in der Bibel. 

Wer weiß, was daraus wird. Wir haben großen Glauben, dass auch der junge Mann beginnt, Jesus nachzufolgen und daraus etwas Großes für Gottes Reich entsteht.
Und ich freue mich einfach, dass ich damals diesem Impuls gefolgt bin, eine e-Mail zu schreiben. Es ist so schön zu sehen, wie Gott wirkt und sich ein roter Faden durch die ganze Geschichte zieht. 

Ich frage mich, wieviele von diesen roten Fäden wir in unserem Leben, in unserem Dienst nicht sehen. So viel bleibt uns verborgen. Aber ich wünsche mir mehr die Augen, die sie sehen und das Herz, das sich darüber freut und Gott lobt!

Photo by Hans-Peter Gauster on Unsplash